Ein Bericht von Edith Nikel, bebildert von Dr. Bernhard Betz.
Weitere Fotos stammen von Brigitta und Martin Bosshard und Dominick Feil.
Zugegeben: in der Vielzahl der bemerkenswerten Jubiläen fällt ein kleines 5-jähriges nicht besonders auf.
Für die aber, die es erlebt haben, sei es als Mitwirkende oder als Zuschauer, war es unbedingt etwas besonderes: das 5. PendelMarionettenFestival in Hohebuch bei Künzelsau. Aus dem wachsenden
Kreis der Pendel-Schüler von Marlene Gmelin und Detlef Schmelz entstehen immer neue kleine Spielgruppen und Theater, die auf hohem Niveau spielen. Alle mit Marionetten aus der PendelWerkstatt,
alle mit der gleichen gründlichen Ausbildung, dennoch total verschieden in Ideen, Ausdruck, Intensität.
Die Eröffnungs-Vorstellung am Freitagabend boten die Pendel-Künstler Marlene Gmelin und Detlef Schmelz selbst: ihre neu inszenierte „Mäusebraut“. Eine Stunde lang kämpft sich der Mäusevater durch die Elemente mit allen Schrecken, geht endlose Wege durch Wüstenhitze, Regenfluten, Wind und Sturm, um endlich vom schier unbezwingbaren Berg zu erfahren, wer die eigentlich allerstärksten Geschöpfe sind: die Mäuse!
Und da endlich kann das zauberhafte Mäusemädchen seinen Mäusebräutigam heiraten.
Ein riesiges Freudenfest mit Feuerwerk. Und nicht endenwollendem Applaus.
Wie bei jedem Festival ist es unmöglich, auf alle Darbietungen genau einzugehen. Die Kinder konnten den unsterblichen „Wanja“
und seine nächtlichen Besucher erleben (Blaue Bühne, Marburg). Ballerinen führten ihre unglaubliche Eleganz und Beweglichkeit vor (No-Marionettentheater, Mönchengladbach). In kleinen entzückenden
Szenen stellten Bärenkind und Bärenpapa die Welt in Frage (Schweizer Bärentheater).
Sogar das unvergessliche DDR-Sandmännchen blies Seifenblasen in eine Stube, in der ein Nussknacker fürchterlich unter Zahnschmerzen litt, von denen ihn zwei Kinder und ein Bär mit viel Action und
niedlichen Einfällen doch befreien konnten (Blaue Bühne, Marburg). Sehr apart ein ganzes Spiel „Das kleine Blau und das kleine Gelb“ nur mit Tüchermarionetten, die ganz und gar lebendig wirkten
(Best Friends. Reutlingen). Flo´s Kiste, Bonn, bot neue „Magische Momente – große Illusionen“, bei denen das Publikum bibberte um die zersägte Jungfrau und das vom Löwen gefressene
Mädchen.
Das Marionettentheater Zaubervogel, Bad Homburg, zeigte „Prinz Tulipan“, eine berührende Geschichte von einem kleinen Engel, der aus dem Himmel rausgeschmissen wurde und nun nicht mehr fliegen kann, weil seine Flügel vor lauter Traurigkeit ganz schwach geworden sind – und einer Raupe, die zu ihrem Kummer auch nicht fliegen kann. Noch nicht! Eine besondere Nacht der Wunder macht es möglich, dass ein frisch geschlüpfter Schmetterling staunt über seine Verwandlung und endlich seine Flügel ausbreiten kann, und das Engele erlebt eine nie gekannte Freude, die seine Flügelchen stark macht, sodass beide miteinander in ein glückliches Leben fliegen können.
Großer Beifall.
Absolut still und geheimnisvoll das Spiel des Marionettentheater Cagibi, Zürich.
„Es war einmal ein Raum“. Ganz ohne Text spinnt sich ein poetisches Begegnen zwischen einem Jungen und einem Mädchen, übertanzt – überschwebt – überlichtet von Erscheinungen aus einer anderen Welt.
Auch „Zwei Freunde – zwischen Diesseits und Jenseits“ (Theater Basilius und Freunde, Krefeld) bezieht eine andere Dimension ein. Man erlebt den Tod mit seiner schweren Aufgabe, Seelen fürsorglich ins Jenseits zu begleiten. Und seine überraschende Begegnung mit einem Kind, das sich gar nicht gegen ihn wehrt, das ihn sogar erwartet und nun das „Leben“ des Todes total verändert. Man ist gerührt und entzückt.
Das Bärentheater, Illschwang, zeigte seine „Dachbodengeschichten“. Dr. Bernhard Betz erhielt 2013 für sein Bärentheater den Fritz-Wortelmann-Preis. Seine Präzision in der Puppenführung wie auch seine Liebe zu von Bären animierten Musikinstrumenten haben schon unzählige Kindergärten und Grundschulen begeistert.
Am späten Abend bot das Marionettentheater Löwenzahn, Bad Vilbel, „Morgenstern-Gedichte“.
Nie hätte ich gedacht, dass ein Butterbrotpapier tatsächlich ein so lebendiges Wesen werden könnte!
Wie auch die Glockentöne Bim, Bam und Bum. Ein Schmankerl für Morgenstern-Liebhaber!
Dann erzählte ein „Altes Radio“ (Thomas Marquardt, Dalheim) von schauerlichen alten Zeiten, von denen ein kleiner Bär keine Ahnung hatte.
Am Ende führte eine große Gruppe das Gemeinschaftsstück „Rabbi Löw“ vor. Eine phantastische Geschich-te, die die Gruppe gemeinsam erfunden, entworfen, erarbeitet hat. Und die große Begeisterung hervorrief. Man stelle sich das vor: hier handelt es sich nicht um einen vorliegenden Text, hier wurde jede Szene im zweijahrelangen Austausch der 12 Spieler (per mail, per Telefon, per Treffen) entwickelt, wurden Psycho-gramme der Figuren erstellt, wurde der Handlungsablauf mit knisternder Spannung und viel Humor erarbeitet, immer wieder in Zusammenarbeit mit den künstlerischen Leitern, den „Pendels“, deren Intensität und hoher Anspruch sich großartig erfüllten. Eine wirklich beachtenswerte Leistung!
Was bleibt denn noch? Natürlich: die Taschenlampenführungen im Gewölbekeller.
Lauter kleine einzelne Szenen führen durch den Lauf der Jahreszeiten, nur von Taschenlampen beleuchtet. Alle von dort zurückkehrenden Zuschauer waren sehr beglückt.
Fazit: Das Marionettenspiel lebt! Es hat eine Zukunft,
solange sich Amateure auf so hinreißende und liebevolle Weise dafür einsetzen.
Edith Nikel